Mai 06 2020
Gasversorgung in Kernen: Es ist kompliziert
Quelle: Waiblinger Kreiszeitung vom 05.05.2020 / Sebastian Striebich
Die Netze BW versorgt Kernen noch immer mit Gas, dabei besteht längst kein Vertrag mehr – jetzt wird das Netz neu vergeben
Noch immer werden die Kernener Bürger von der Netze BW mit Gas versorgt, dabei hat die Gemeinde die Konzession bereits vor sieben Jahren an das Remstalwerk vergeben. Wobei das Remstalwerk mit der Übernahme des Netzes von der Netze BW scheiterte und die Gemeinde dem kommunalen Energieversorger vor etwa einem halben Jahr ebenfalls gekündigt hat. Das heißt: Es besteht momentan kein gültiger Konzessionsvertrag für das Kernener Gasnetz. Oder, wie es die Verwaltung formuliert: Die Gemeinde befindet sich im „vertragslosen Zustand“. Dieser ist auf Dauer natürlich nicht zu halten, auch aus rechtlicher Sicht nicht: Spätestens alle 20 Jahre muss die Konzession neu ausgeschrieben werden. Das geschieht jetzt. Es ist kompliziert.
Ein Rechtsstreit mit der EnBW?
Zunächst einmal stellt sich die Frage, warum das Gasnetz nach der Vergabe ans Remstalwerk im Jahr 2013 nicht an den neuen Betreiber übergegangen ist. Die offizielle Lesart der Gemeindeverwaltung lautet: Es konnte „keine Einigung mit dem bisherigen Konzessionsinhaber erzielt werden“. Kritiker im Gemeinderat wie Ebbe Kögel vom Parteifreien Bündnis formulieren es so: Die EnBW, Mutterkonzern der Netze BW, habe sich geweigert, das Gasnetz herauszugeben. „Ich wäre dafür, dass wir klagen und uns das nicht gefallen lassen“, schimpfte Kögel schon vor einem Jahr. Der damalige Bürgermeister Stefan Altenberger erklärte daraufhin, einen Rechtsstreit wolle die Gemeinde unbedingt vermeiden. Die Erfahrung anderer Kommunen habe gezeigt, dass der hohe finanzielle Einsatz sich nicht lohne. Ins selbe Horn stieß Gabriele Laxander, Geschäftsführerin des Remstalwerks: Eine Klage habe auch deshalb kaum Erfolgschancen, weil die Gerichte mittlerweile „technische Mängel“ in den Konzessionsverträgen vergangener Jahre festgestellt hätten. Es gelte kein Bestandsschutz für die alten Verträge. Die deutliche Mehrheit des Gemeinderats folgte dieser Argumentation – und stimmte in der Folge den Plänen des Remstalwerks zu, eine Gasnetzgesellschaft mit dem Energieversorger Süwag zu gründen. Doch wie passt das zusammen?
Nun, die Kündigung des Vertrags von 2013 mit dem Remstalwerk bedeutet nicht, dass die Gemeinde ihr Gasnetz in Zukunft nicht vom Remstalwerk betreiben lassen möchte, ganz im Gegenteil. Am Remstalwerk sind schließlich die Kommunen Kernen, Remshalden, Winterbach und Urbach als Gesellschafter beteiligt. Doch erstens genügte der bis Ende 2019 bestehende Vertrag ja nicht mehr den aktuellen Anforderungen und zweitens zweifelten die Verantwortlichen beim Remstalwerk offenbar daran, den Betrieb des Gasnetzes ohne starken Partner überhaupt stemmen zu können.
Deshalb gaben die vier Kommunen dem Remstalwerk grünes Licht für die Gründung der Netzgesellschaft mit der Süwag Energie AG, die mehrheitlich zum Energieriesen Eon gehört. Dann kündigten die Kernener Ende 2019 ihren alten Vertrag mit dem Remstalwerk – auf dass sich die neugegründete Netzgesellschaft abermals auf die Ausschreibung für das Kernener Gasnetz bewerben möge.
Der Auftrag an die Verwaltung, die Gaskonzession neu auszuschreiben, stand jetzt im Kernener Gemeinderat auf der Tagesordnung. Eigentlich handelte es sich bei dem Beschluss im Bürgerhaus um eine Formalie: einen weiteren Schritt auf dem Weg, den die Gemeinde bereits mit der Zustimmung zur Netzgesellschaft und der Kündigung des alten Vertrags mit dem Remstalwerk beschritten hatte.
In „marktbeherrschender Stellung“
Doch weil die Gemeinde beim Abschluss von Konzessionsverträgen laut Verwaltung „als Unternehmen im Sinne des deutschen Kartellrechts“ handelt und eine „marktbeherrschende Stellung“ hat, sei sie „verpflichtet, den Konzessionär für den Betrieb eines Energieversorgungsnetzes in einem diskriminierungsfreien und transparenten Wettbewerb auszuwählen“. In der Vorlage zum Gemeinderatsbeschluss heißt es: „Es soll derjenige neue Netzbetreiber ermittelt werden, der nach seiner personellen und sachlichen Ausstattung, seiner fachlichen Kompetenz und seinem Betriebskonzept am besten geeignet ist (…)“. Die Gemeinde darf ihr Gasnetz also nicht einfach der neugegründeten Netzgesellschaft des Remstalwerks mit der Süwag übergeben, sondern muss einen fairen Wettbewerb gewährleisten. Wobei der Gemeinderat nichtsdestotrotz über die Auswahlkriterien und die Auswahlentscheidung zu beschließen hat.
Gleich neun Räte sind befangen
Das führt zu „Interessenskollisionen“, die unbedingt vermieden werden sollen. Denn die Kernener sind naturgemäß eng verstrickt mit dem Remstalwerk: Bürgermeister Benedikt Paulowitsch hat Stimmrecht im Aufsichtsrat und in der Gesellschafterversammlung. Dieser gehören auch die Gemeinderäte Andreas Wersch, Hans Dietzel, Hans-Peter Kirgis, Eberhard Kögel und als ihre Stellvertreter Volker Borck, Christoph Kern, Erich Ehrlich und Matthias Kramer an. Sie alle gelten in der Sache also als befangen und sind im Gemeinderat nicht stimmberechtigt. Hinzu kommt die Gemeinderätin Caren Lederer, die sich sicherheitshalber ebenfalls für befangen erklärte, weil ihr Mann immer wieder geschäftlich mit dem Remstalwerk zu tun hat. Macht neun Räte, die in dieser Sache befangen sind. Übrig bleiben 13, die mitbestimmen dürfen, inklusive des CDU-Gemeinderats und stellvertretenden Bürgermeisters Helmut Heissenberger, der für den Tagesordnungspunkt am vergangenen Donnerstag die Sitzungsleitung übernehmen musste.
Da alle Räte den Weg ins Bürgerhaus gefunden hatten und Heinz Heß von den Unabhängigen Freien Wählern nach kurzer Verwirrung, ob er nun zu den Befangenen zähle oder nicht, ebenfalls die Hand hob (Helmut Heissenberger mahnend: „Heinz, komm, streck!“), konnte letztlich ein einstimmiger Beschluss gefasst werden. Die Gaskonzession wird also neu vergeben – der „vertragslose Zustand“ soll bald Geschichte sein.