Feb 21 2020
Digitale Hinweise sollen Motorradraser sensibilisieren
Quelle: Fellbacher Zeitung vom 20.02.2020 / Roland Böckeler
Ein Lärmdisplay an der Landesstraße von Stetten nach Esslingen zeigt Lob und Tadel. Ob es hilft?
Liebhaber von Motorrädern schätzen landschaftlich reizvolle Strecken. Je kurvenreicher umso besser, und wenn sich ein Panorama eröffnet, ist das Glück auf zwei Rädern perfekt. Von dem her ist die Landesstraße von Stetten nach Esslingen nahezu perfekt. Entlang von Weinbergen geht es serpentinenartig zum Schurwald hinauf.
Viele Anwohner am Ortsende von Stetten freuen sich nur bedingt darauf, bis die Temperaturen frühlingshaft werden und die motorisierten Zweiräder aus dem Winterschlaf geweckt werden. Denn wenn die Fahrer zuvor den ganzen Ort hindurch brav mit Tempo 30 gezuckelt sind, geben nicht wenige richtig Gas, wenn es langsam, aber stetig bergauf gen Esslingen geht. Und das ist dann gerne eines: richtig laut. Das Tal bringt es mit sich, dass jedes Beschleunigen unmittelbar in den Gehörgang der Anwohner dringt.
Das alles ist nicht neu, neu ist aber ein Weg, die Motorradfahrer zu sensibilisieren – mit einem elektronischen Display, auf dem sich ein Mädchen neben den Worten „Pssst… Rücksicht“ die Ohren zuhält. Wer nach dem Ortsende zu stark beschleunigt, bekommt in roten Lettern die Aufforderung „Langsam“ präsentiert. Ist die Maschine lauter als die 78 Dezibel, was dem EU-Grenzwert entspricht, taucht die Bitte „Leiser“ auf. Ein leuchtend grünes „Danke“ bekommen alle anderen, die moderat an der Messstelle vorbeifahren. Ursprünglich wurden die Geräte zur Prävention auf Motorradstrecken konzipiert. Stolze 13 000 Euro gibt die Gemeinde Kernen für die fest installierte Anlage aus, die ihren Strom aus Solarzellen bezieht. Vom baden-württembergischen Verkehrsministerium kommt ein Zuschuss in Höhe von 4000 Euro.
Das Land hat zwar selbst Messgeräte im Einsatz und leiht sie aus, sie sind aber langfristig vergeben, weshalb die Gemeinde nicht warten wollte und aktiv wurde. Die CDU hatte vor einem Jahr mit einem entsprechenden Gemeinderatsantrag eine Mehrheit im Gremium davon überzeugt.
Dieser Tage ist die Strecke nach Esslingen noch von Auto- und Lastwagenfahrern dominiert – die aber ebenfalls eine Mahnung im Lärmdisplay sehen, wenn sie zu schnell oder zu laut auf Achse sind. Was sie mit Zweiradnutzern eint: Konsequenzen müssen sie keine befürchten. Die Messanlage erfasst keine Kennzeichen. Wer die Mahnungen ignoriert, zahlt keine Strafe. Gleichwohl ist Kernens Bürgermeister Benedikt Paulowitsch zuversichtlich. Er hofft mittels der neuen Anlage „auf positive Effekte für die lärmgeplagten Anwohner in Stetten“. Er appelliert an die Verantwortung der Fahrer und will sie „sensibilisieren“, wie er sagt. Denn, abgesehen von bewussten Rasern, „meinen es die meisten ja gar nicht böse“. Und jenen Zweiradfahrern solle bewusst gemacht und vor Augen geführt werden, dass sie Grenzen überschreiten. Das Lärmdisplay ist fest verankert und kann nicht an anderer Stelle platziert werden. Einen Gewöhnungseffekt erwartet der Bürgermeister aber nicht. „Es sind viele Freizeitfahrer, die eine schöne Strecken suchen und hier finden“, meint Paulowitsch. Erfasst werden zwar nicht die Kennzeichen, gezählt wird jeder Vorbeifahrende, egal ob auf zwei oder vier Rädern, gleichwohl. Über den Hersteller der Anlage können die Zahlen für statistische Zwecke ausgelesen werden.
Das Lärmdisplay ist ein sichtbares Zeichen von Kernen, gegen akustische Belästigung vorzugehen. Auf politischer Ebene hat sich die Gemeinde – im Gegensatz zu Fellbach – der „Initiative Motorradlärm“ angeschlossen, wie landesweit gut 80 Kommunen und Kreise. Zusammen mit dem Verkehrsminister Winfried Hermann (Grüne) und dem Lärmschutzbeauftragten der Landesregierung Thomas Marwein (ebenfalls Grüne) fordert die Initiative von der Europäischen Union, der Bundesregierung, den Herstellern von Motorrädern sowie von den Motorradfahrern mehr Anstrengungen, um Motorradlärm spürbar zu reduzieren. Ziel sei es, das jeder in seiner Verantwortung und Zuständigkeit dazu beiträgt, dass Motorräder leiser werden, dass sie leiser gefahren werden – und dass rücksichtsloses Fahren deutliche Folgen hat.
