Dez 17 2017

Ein inszenierter Eklat stört die große Harmonie

Veröffentlicht von um 23:30 unter Pressespiegel

Quelle: Fellbacher Zeitung vom 16.12.2017/ Hans-Dieter Wolz

Gemeinderat beschließt Haushaltsplan für 2018 trotz einer Protesteinlage aus dem PFB einstimmig

Nur zwei Gemeinderäte tanzten aus der Reihe bei der vorweihnachtlichen Harmonie und Freude der Fraktionssprecher über das gemeinsam in Kernen auf vielen Gebieten Erreichte. Bei den Reden zum Haushaltsplan über Einnahmen und Ausgaben in Höhe von 54 Millionen Euro, finanziert ohne Aufnahme von Schulden sogar bis zum Ende des Finanzplanungszeitraums 2021, kam es zu einem Eklat: In die Haushaltsrede der beiden Mandatsträger aus dem Parteifreien Bündnis, Bettina Futschik und Eberhard Kögel, fielen plötzlich Gesinnungsgenossen der beiden ein und verlängerten aus der Publikum heraus den Forderungskatalog. Bürgermeister Stefan Altenberger reagierte empört. Zurufe aus dem Zuhörerkreis verbietet die Gemeindeordnung. Die Störung einer Haushaltsrede erschien dem Schultes gar völlig unerhört. Er drohte deftig mit Rausschmiss.

Was sich Altenberger und den übrigen Fraktionen nicht erschloss: Die Störung war inszeniert, die Aufregung gewollt. Den journalistischen Beobachtern im Sitzungssaal des Bürgerhauses lagen die Rufe von „Hape“, „Hottle“ und „Jürgen“ schon bei Sitzungsbeginn wörtlich vor. Sie wollten bezahlbaren Wohnraum für Einkommensarme und junge Familien, forderten den Verzicht auf Gewerbegebiete auf besten Ackerböden oder den Stopp der Finanzierung von Stuttgart 21 über die Kreisumlage. Eberhard Kögel verstand den Verstoß gegen die üblichen Regeln im Gemeinderat übrigens als eine Art Protest gegen die verkürzte Redezeit von fünf Minuten gegenüber zehn Minuten für die Fraktionen.

So radikal der PFB-Forderungskatalog auch vorgetragen war: Wenn Eberhard Kögel, „Ebbe“, eine Ganztagsschule und ein Pflegeheim für Stetten fordert und Gemeinderatsunterlagen und -protokolle im Internet veröffentlicht haben will, oder Bettina Futschik, „Bea“, für die Abschaffung aller Kindergartengebühren eintritt, gibt es doch auch Berührungspunkte mit den übrigen Fraktionen. Sie fallen zwar weniger direkt aus, sind aber durchaus zu entdecken. Sogar mit der CDU-Fraktion gibt es Gemeinsamkeiten, wenn auch nicht selten mit anderem Ziel. Nach den Worten ihres Fraktionsvorsitzenden Andreas Wersch hat die CDU durch ihre Stimmenthaltung einen Prüfungsantrag von SPD und UFW mitgetragen, die Kosten für wenigstens ein gebührenfreies Kindergartenjahr ermitteln zu lassen. Allerdings sagte Wersch: „Wenn endlich klare Zahlen auf dem Tisch liegen, dürfte die Diskussion für die nächsten Jahre beendet sein und der Realitätssinn zurückkehren.“

Auch der gewünschte Stopp des Verbrauchs von Rommelshausens besten Ackerböden für Gewerbegebiete westlich der Waiblinger Straße steht in Aussicht, wenn auch erst nach dem umstrittenen Gebiet Lange Äcker III. Nachdem sich schon früher die SPD so festgelegt hatte, sagte der UFW-Fraktionsvorsitzende Hans Dietzel: „Die vom Gemeinderat bereits beschlossenen drei Hektar Fläche in den Langen Äcker III tragen wir mit. Damit ist dann auch für die UFW-Fraktion das Gewerbegebiet Lange Furchäcker endgültig abgeschlossen.“ Er forderte für Kernen eine Grundsatzdiskussion, bevor die nächste Suche nach Gewerbeflächen beginnt.

Dass Wohnraum mit bezahlbaren Mieten fehlt, haben außer den PFB-Freunden auch die Redner aus den Fraktionen hervorgehoben: „Einen kommunalpolitischen Schwerpunkt der nächsten Jahre sehen wir in der Schaffung von bezahlbarem Wohnraum“, sagte der SPD-Fraktionsvorsitzende Hans-Peter Kirgis. „Mehr als 400 Menschen stehen allein in Kernen auf der Liste der Wohnungssuchenenden. Hinzu kommen die Flüchtlinge, die von der Gemeinde unterzubringen sind. Hier sind schnelle Lösungen gefragt.“ Möglicherweise haben, neben dem besseren Kennenlernen, gerade in ähnliche Richtungen gehende Forderungen die Spannungen zwischen den Fraktionen und Bürgermeister Altenberger einerseits und der PFB, manchmal auch OGL, andererseits im Gemeinderat etwas abgebaut. Der Fraktionsvorsitzende der OGL, Matthias Kramer, stellte fest: „In den letztjährigen Haushaltsreden wurde von allen Fraktionen die schlechte Stimmung in unserem Gremium bemängelt. Diese hat sich in unseren Augen merklich verbessert. Dies kommt unter anderem in 13 gemeinsamen fraktionsübergreifenden Haushaltsanträgen zum Ausdruck.“ Das destruktive Gegeneinander werde mehr und mehr von sachlich geführten Streitgesprächen abgelöst.

Anzumerken ist, dass es in diesem Jahr kaum Haushaltsanträge gab, die in Kampfabstimmungen entschieden wurden, und dass die Räte den Haushaltsplan am Donnerstag einstimmig beschlossen haben.

Auszüge aus den Haushaltsreden Der Fraktionen im Gemeinderat Kernen

Andreas Wersch (CDU):
„Wir sollten nicht vergessen, rechtzeitig in die Zukunft zu investieren, bevor irgendwann wieder schlechtere Zeiten kommen werden. Glänzende Hochbauten und schicke Parkanlagen kann jedermann sehen. Wie aber sieht unser Kanalnetz aus? Und ist ihnen schon einmal aufgefallen, in welchem Zustand sich manche unserer Ortsstraßen befinden? Hier haben wir unsere Hausaufgaben noch zu erfüllen. Und nach wie vor mahnen wir, bei all den Investitionen die Folgekosten nicht aus dem Blick zu verlieren. Wenn schlechtere Zeiten kommen, werden wir uns schwertun, unsere Pflichtaufgaben zu erfüllen. Wo dann der Rotstift angesetzt wird, dürfte ein spannendes Thema werden.“

Hans-Peter Kirgis (SPD):
„Der Grundsatzbeschluss für den Bau der Sozialstation mit Tagespflege, einer Kindertagesstätte und des Schülertreffs in einem Gebäudekomplex wurde bereits gefasst. Der SPD-Fraktion ist es wichtig, dass diese Baumaßnahme zeitnah umgesetzt wird. Sollte auch im kommenden Jahr der Zuschussantrag der Gemeinde erneut abgelehnt werden, darf nicht mehr länger zugewartet werden. Eine Aufteilung in zwei Bauabschnitte kommt für uns nicht in Frage. Wir sind stolz auf den sehr hohen Standard in der Kinderbetreuung und sind der Überzeugung, dass dies umfangreiche Investitionen in die Zukunft sind. Sie stellen einen nicht unwesentlichen Standortvorteil dar.“

Hans Dietzel (UFW):
„Die UFW hat bereits vor mehr als zehn Jahren den Nachweis gefordert, welche Einsparungen durch die Zusammenlegung der drei Kläranlagen Kernens möglich sind. Nun wurde diese Untersuchung endlich durchgeführt. Wir hoffen, das Ergebnis wird zeitnah öffentlich gemacht. Mit einer leistungsfähigen Kläranlage wäre Kernen für die Zukunft bestens gerüstet, und die Umwelt würde weiter geschont. Die Mobilitätsinitiative der Gemeinde wird von der UFW-Fraktion mitgetragen. Allerdings lehnen wir das Prestigeobjekt Bike-Tower entschieden ab. Der einzige und bisher erste Bike-Tower des Herstellers ist erst seit kurzem in Betrieb und befindet sich noch in der Testphase.“

Matthias Kramer (OGL):
„Wir wollen mehr Bildungsgerechtigkeit und eine bessere Vereinbarkeit von Familie und Beruf. Und dazu brauchen wir ein Konzept für eine durchgehende Ganztagesbetreuung von der Kleinkindbetreuung bis zur weiterführenden Schule. Notwendig ist die verbindliche Form, der Nachmittag wird also ein integrierter Bestandteil des Schulunterrichts und somit wesentlich mehr als nur Betreuung und Beaufsichtigung. Zu diesem Konzept der Ganztagsbetreuung gehört dann auch die Gemeinschaftsschule. Eine solche durchgehende Ganztagesbetreuung würde die Attraktivität der Gemeinde Kernen für junge Familien enorm erhöhen.“

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