Jun 23 2016
Yburg in „erschreckendem“ Zustand
Nicht nur aus denkmalschützerischer Sicht sind die 330 000 Euro, die Kernen außerplanmäßig investieren muss, gut angelegt
Schalenbildung, Risse, Ausbrüche, bröckelnde Bruchsteine: Was der erfahrene Restaurator Albert Kieferle bei der Untersuchung der Sandsteinmauern der Yburg sehen musste, hat ihn erschreckt. Die Ruine sei trotz des positiven Eindrucks als „sehr stark geschädigtes Bauwerk“ einzustufen, schreibt er in seiner Schadensanalyse. Die Nitratbelastung sei „das höchste, was ich bisher erlebt habe“. Für den Gemeinderat Grund genug, rasch zu handeln.
Mit außerplanmäßig in den Haushalt eingestellten 330 000 Euro will Kernen den zweiphasigen Sanierungsmarathon schultern. Wie berichtet ist derzeit die Gefahr, dass sich Sandsteinschalen und Putz- und Mörtelteile von der Fassade lösen und herabstürzen könnten, sehr groß. Seit Monaten ist deswegen die unter Denkmalschutz stehende Ruine für das Publikum gesperrt. Die Sofortmaßnahmen, die in einem ersten Sanierungsabschnitt an der eingerüsteten Nord- und Westfassade sowie am Zugang zu den Gewölbekellern geplant sind, sollen die Verkehrssicherheit im Blick auf die für den 4. August vor der Yburg angesetzte Stallwächterparty herstellen.
„Die Ausbrüche sind scharfkantig und schwer“, sagt Restaurator Albert Kieferle vom Hochdorfer Fachbüro AeDis, „es wäre dramatisch, wenn jemand getroffen würde. Denn da kommt noch Weiteres herunter.“ In einer zweiten Etappe sollen die restlichen Fassadenflächen an der Süd- und Ostfassade sowie sämtliche Wandflächen im Innenraum der Burganlage gesichert und restauriert werden. Ziel sei die Festigung und Konservierung des angegriffenen Steingefüges. Es gehe um Bestandssicherung, nicht um Ergänzung, betont Kieferle.
Der Schadensbefund, den der Experte mit Fotos belegt, zeigt Ausbrüche aus der Mauer als Folge sich ablösender Schalen. Auch größere Abbrüche, bei denen Bruchstücke mit einem Gewicht von mehreren Kilogramm abfielen, haben die zwei Gutachter beobachtet. Verbaut wurde in der Yburg zwischen der Mitte des 14. Jahrhunderts und der Aufstockung ab 1649 örtlich anstehender gelblich-brauner bis grünlicher Schilfsandstein und später beiger Udelfanger Sandstein, der bei der Instandsetzung um 1978 zum Einsatz kam. Die Risse betreffen alle Steinarten. Sie sind statisch bedingt, sprich durch Verformungen des Bauwerks entstanden. Risse können zum Abfallen größerer Steinbrocken führen, wobei Albert Kieferle vor allem die statische Bruchstelle im obersten Geschoss der Südostecke für bedenklich hält.
Die Stücke können mehrere Kilogramm schwer sein
Die Bildung von Schalen auf dem Stettener Schilfsandstein als Folge von Verwitterung der Steinoberfläche stellt aus Sicht des Restaurators eine akute Gefährdung der Passanten dar. Sie fallen in einer Stärke von mehreren Millimetern bis zu zwei Zentimetern ab, unter ungünstigen Bedingungen gleich in mehreren Lagen übereinanderliegender Schalen. Die Stücke können mehrere Kilogramm schwer sein. Entsprechend gefährlich wird es für Besucher, wenn sie sich lösen und herunterfallen. Schalenbildung sei sowohl an der Gliederung der Ruine, sprich an Gesimsen, Gewänden und Bögen, als auch an den Bruchsteinen „sehr stark verbreitet.“ Vor allem aber die Salzbelastung an der Ostseite beunruhigt Denkmalschützer und Restauratoren. Er habe einen derart „exorbitanten“ Nitrateintrag in ein Mauerwerk noch nicht erlebt, sagte Kieferle im Gemeinderat. Das Eindringen von Salz sei schwer zu unterbinden. Denkbar wäre dort eine „punktuelle Instandsetzung der Mauer mit neuen Bruchsteinen und das Aufbringen einer Putzschicht, die in ihrem Erscheinungsbild dem Fugenmörtel angenährt wird“, regt Kieferle an. Ein sogenannter Opferputz, der die schädlichen Salze aufnimmt und später abgeschlagen wird, wäre eine langfristige Option. Für SPD-Gemeinderätin Ingrid Möhrle war die Kostenschätzung von 330 000 Euro ein Schock. Nur wegen der Stallwächterparty Anfang August, einem Sponsorenevent bei der Yburg, das Geldgeber für die Remstalgartenschau werben soll, sei jetzt plötzlich Eile angesagt. Ausgaben in dieser Größe ließen sich nicht „so nebenher“ beschließen. Sie, Möhrle, hätte es schon gern etwas genauer bei der Kostenkalkulation. „Wir haben nämlich auch Pflichtaufgaben, die in nächster Zeit kommen.“ Volker Borck (CDU) widersprach: „Für uns ist die Yburg keine Freiwilligkeitsleistung, sondern ein Wahrzeichen. Für uns ist es eine Pflichtaufgabe.“ Andreas Stiene (OGL) stimmte ihm zu: Die Sicherung von Kulturdenkmälern sei eine kommunale Pflichtaufgabe.
Quelle: Waiblinger Kreiszeitung vom 22.06.2016 / Text: Hans-Joachim Schechinger