Mrz 15 2015
Bahn sieht für Umbau keine Pflicht
vom 14.03.2015
Regionaldirektorin Schelling hat sich zur Bahnsteigbesichtigung angekündigt und damit eine Einladung des Landtagsabgeordneten Jochen Haußmann nach Kernen angenommen. Ob danach die S-Bahn-Station schneller barrierefrei wird, bleibt weiter unklar.
Die unfallträchtige 30-Zentimeter-Lücke zwischen Bahnsteigkante und S-Bahn-Einstieg am Bahnhof Rommelshausen ist Jochen Haußmann länger schon ein Dorn im Auge. Das ist allgemein bekannt – auch dem Verkehrsministerium. In mittlerweile zwei Landtagsanfragen hat der FDP-Abgeordnete aus Rommelshausen von der Landesregierung erfahren wollen, wann endlich der Bahnsteig um 20 Zentimeter angehoben wird, damit auch weniger mobile Fahrgäste bequem und gefahrenfrei in die S-Bahn kommen. Ein konkretes Umbaudatum kennt Haußmann trotz aller politischer Vorstöße nach wie vor nicht.
Nun hat sich S-Bahn-Stammkunde Haußmann (Eigenbeschreibung), nachdem er beim Verkehrsminister nicht weiterkommt, auf den Verband Region Stuttgart (VRS) eingeschossen. Dieser trage „hier genauso Verantwortung wie die Bahn für die jahrelange Verzögerung“. Auch auf den VRS müsse der Druck erhöht werden, teilte er zusammen mit einer Einladung an die Regionaldirektorin Nicola Schelling zu einem Vor-Ort-Termin mit.
Diese hat umgehend zugesagt. Als für die S-Bahn zuständige Regionaldirektorin wolle sie die Verantwortung „im Sinne der Fahrgäste“ wahrnehmen, begründet Schelling ihr Kommen. Die Regionaldirektorin hat ihrer grundsätzlichen Zusage zu einer Bahnsteigbesichtigung in Rommelshausen eine ausführliche Stellungnahme beigefügt, die unserer Zeitung vorliegt. Bei genauer Betrachtung gibt diese allerdings wenig Hoffnung, dass die Bahnsteige demnächst mit einem neuen Belag auf eine Höhe von 96 Zentimeter gebracht werden.
Die VRS-Chefin scheint weniger auf eine bauliche Lösung zu setzen als auf eine verkehrstechnische. Sie verweist auf die neuen S-Bahn-Züge des Typs ET 430. Diese verfügten über Rampen und Schiebetritte und brächten „eine deutliche Verbesserung“. Die Schiebetritte sind derzeit wegen technischer Mängel allerdings nicht einsatzfähig. Schelling ist dennoch überzeugt, dass sich die Einstiegsituation in Stationen mit Außenbogen wie in Rommelshausen „erheblich“ verbessern wird, wenn eine technische Lösung gefunden ist.
Weniger mobile S-Bahn-Fahrgäste werden die S-Bahn-Stationen Rommelshausen oder auch Stetten-Beinstein, wo die Situation ähnlich ist, wohl weiterhin meiden müssen. Beziehungsweise sie lassen sich vom Lokführer oder von Mitfahrern beim Einsteigen helfen. Dass diese Situation nicht tragbar ist, haben die Landkreise und die Deutsche Bahn bereits vor über 20 Jahren festgestellt. 1994 beschlossen beide Seiten den „5. S-Bahn-Ausbauvertrag“, laut dem Bahnhöfe behindertengerecht nachgerüstet werden sollen. Der Vorsatz ist bis heute nicht in sämtlichen Bahnhöfen umgesetzt worden.
Kreis hinkt Entwicklung hinterher
Schelling deutet an, warum es gerade im Kreis nicht schnell genug vorangegangen sein könnte: „Der Rems-Murr-Kreis ist dem Vertrag als Letzter beigetreten, so dass hier die letzten Stationen noch ausstehen“, heißt es dazu in ihrer Stellungnahme. Im Vertrag, sollte er einmal komplett umgesetzt sein, ist allerdings nur der Einbau von Rampen, Aufzügen oder Blindenleitsystemen geregelt, nicht aber die Anhebung der Bahnsteige auf ein barrierefreies Niveau. Das wäre erst der nächste Schritt. Wie das Ziel der vollständigen Barrierefreiheit letztendlich erreicht werden soll, ist nach der derzeitigen Rechts- und Finanzlage unklar. Die Regionaldirektorin spricht von einem Konzept, das noch im Laufe des Jahres gemeinsam mit der Bahntochter Station & Service erstellt werden soll.
Und was ist von der Deutschen Bahn zu erwarten? Sie fühlt sich laut ihrer Internetseite durchaus verpflichtet, „den Zugang zum System Bahn für alle Nutzer vollumfänglich herzustellen“. Angeführt werden unter anderem die UN-Behindertenrechtskonvention und einige technische Vorschriften. Das Zieldatum ist auf 2020 angelegt. Hetzen lassen will sich die Bahn jedoch nicht. Auf Anfrage teilt eine Sprecherin mit: „Eine Rechtsverpflichtung zum barrierefreien Umbau bestehender Bahnsteige ohne Renovierungsbedarf besteht nicht.“ Zu erneuernde Bahnsteige würden nach den heute gültigen Regeln barrierefrei umgebaut. Soll heißen, solange der Bahnhof baulich in Schuss ist, muss Barrierefreiheit warten.
Nach Angaben der DB-Sprecherin erfüllt derzeit rund ein Drittel aller Stationen bundesweit alle Merkmale der Barrierefreiheit. Unter den derzeitigen Randbedingungen kommen nach ihrer Aussage jährlich etwa 100 barrierefrei umgebaute Stationen dazu. Die Kosten für den Umbau tragen die Bahn und der Bund. Aber man zeigt sich bei der Bahn auch für Sponsoren offen: „Durch eine Komplementfinanzierung der Länder und Kommunen können der Umfang der Maßnahmen erhöht bzw. auch einzelne Maßnahmen beschleunigt werden“, ergänzt die Sprecherin.
Dass Kommunen die Kosten komplett übernehmen, um den Umbau zu beschleunigen, ist der Bahn hingegen noch nicht untergekommen. Teilweise würden einzelne Aufzüge, Rampen oder ein Wetterschutz von Kommunen finanziert. Auch Schadenersatzklagen scheint die Bahn nicht befürchten zu müssen: „Klagen Betroffener bezüglich der Barrierefreiheit bei der Einstiegsdistanz zum Fahrzeug sind weder der DB Station & Service AG noch der Rechtsabteilung der Bahn bekannt.“
Quelle: WKZ vom 14.03.2015 / Text: Uwe Roth