Apr 22 2012

Rekordetat und Kuschelkurs

Veröffentlicht von um 22:45 unter Pressespiegel

vom 21.04.2012

Historisch: Gemeinsame Haushaltsrede der vier Fraktionen im Kernener Gemeinderat / Kinderbetreuung großer Kostenfaktor

Das gab es noch nie, zumindest nicht in Kernen, und ziemlich sicher auch im Rest der Republik äußerst selten: eine gemeinsame Haushaltsrede aller vier Gemeinderatsfraktionen. Heißt: Einstimmigkeit und Einigkeit statt Profilierung und parteipolitischem Schlagabtausch. In der Harmonie gingen auch alle Haushaltsanträge der Fraktionen, von denen vier sogar gemeinsame Anträge waren, problemlos durch. Warum auch nicht: Die Gemeinde kann aus vollen Kassen schöpfen. Das allerdings könnte auch bald schon wieder anders aussehen.

Ist das ein historischer Moment, an diesem Dienstagabend im Kernener Gemeinderat? „Bundesweit einzigartig“, raunt der Überbringer, der den Pressevertretern in einem Umschlag den Text der Haushaltsreden überreicht. Eine fast feierliche Stimmung weht durch den Saal im Feuerwehrgerätehaus in Stetten. „Wir haben keine Forschung betrieben“, sagt Walter Rall (Offene Grüne Liste) am Tag danach, „aber wir sind der Meinung, dass wir die Ersten sind.“ Das lässt sich nun nicht so einfach überprüfen, aber sicher lässt sich wohl sagen: Was hier im Kernener Gemeinderat passiert ist, hat in der deutschen Parlamentslandschaft absoluten Seltenheitswert.

Zu viert treten sie ans Rednerpult: „Souverän“ und „selbstbewusst“

„Sensation – das Wort fände ich jetzt etwas übertrieben“, meint der SPD-Fraktionschef Hans-Peter Kirgis, aber man hört ihm die gute Laune durch das Telefon an, den Stolz, sich hier mit den Ratskollegen zu etwas Besonderem zusammengerauft zu haben. Zu viert traten sie nach vorne ans Rednerpult. Überraschend, auch für die Verwaltung, keiner war vorher informiert worden. Andreas Wersch (CDU), Hans-Peter Kirgis (SPD), Hans Dietzel (Unabhängige Freie Wähler) und Walter Rall (OGL) trugen im abschnittsweisen Wechsel die Rede vor. Und erklärten: Sie stünden zusammen da, „weil dieser Gemeinderat souverän und selbstbewusst genug ist, um auf eine gemeinsam und erfolgreich gestaltete Kommunalpolitik in dieser Gemeinde zurückzublicken.“

Das heiße nicht, dass bei bestimmten Themen nicht oft „heftig diskutiert“ worden sei, aber sie wollten ein „Zeichen setzen“: „Ein Zeichen dafür, dass trotz aller unterschiedlicher Meinungen und Positionen in den letzten Jahren schlussendlich dieser Gemeinderat im Schulterschluss mit Bürgermeister und Verwaltung stets ein positives Ergebnis für die Gemeinde hervorgebracht hat.“

Dieses positive Ergebnis lag in Kernen in den letzten Jahren auch daran, dass die Kassen so prall gefüllt waren wie in kaum einer anderen Kommune im weiten Umkreis. Die Steuereinnahmen brachen durch die Wirtschaftskrise nicht so stark und dauerhaft ein wie befürchtet – dabei kann sich Kernen immer noch fast die niedrigsten Sätze bei Gewerbe- und Umsatzsteuer im Rems-Murr-Kreis leisten. Außerdem konnte die Gemeinde aus ihren Rücklagen zehren. 2008 lagen einmal mehr als 22 Millionen Euro auf der hohen Kante. Jetzt wird die Rücklage ein weiteres Mal von 7,25 Millionen auf 1,14 Millionen schrumpfen.

Mit Steuererhöhungen die gestiegenen Kosten decken

In Zeiten, in denen andere Kommunen jeden Cent dreimal umdrehen, ist Kernen das zweite Jahr in Folge schuldenfrei und tätigt enorme Investitionen. Der Haushalt 2012 ist mit einem Volumen von mehr als 43 Millionen Euro ein Rekordetat. Allein das Bürgerhaus soll acht Millionen teuer werden und wird den Haushalt noch bis 2014 belasten. Dazu kommt die Generalsanierung des Hallenbades für drei Millionen. Auch die Grundstückskäufe in der Umlegung des Baugebiets Kleines Feldle III kommen teuer. „2011, 2012 und 2013 sind die investitionsträchtigsten Jahre überhaupt in Kernen“, sagt auch Kämmerer Achim Heberle.

Hier liegt auch eine Gefahr für den Haushalt. Denn: Neue Einrichtungen wie das Bürgerhaus oder Kinderhäuser müssen betrieben und unterhalten werden und verursachen laufende Kosten, zum Beispiel für Personal und Energie. Im Moment bleibt der Gemeinde nach Abzug aller laufenden Ausgaben im Verwaltungshaushalt für 2012 ein Überschuss (Zuführungrate), der investiert werden kann. Doch der nächste Wirtschaftsabschwung kommt, ist sich Kämmerer Achim Heberle sicher: „Wir haben im Moment sehr kurze Konjunkturzyklen.“ Darauf, so der Kämmerer, müsse man sich vorbereiten. Ein erster Schritt ist schon im Gespräch: Die Verwaltung will Gewerbe- und Grundsteuer 2013 jeweils um 20 Prozentpunkte anheben. Dann wird auch die jetzt demonstrative Einigkeit des Gemeinderats auf die Probe gestellt werden, das deutet sogar die gemeinsame Haushaltsrede an: Es gebe „kein einheitliches Meinungsbild“ zur Steuerfrage, heißt es da. Auch über die Erhöhung von Gebühren könnte diskutiert werden, die Räte regen in der Haushaltsrede an, das „Augenmerk“ darauf zu lenken.

Die Gedanken in die Zukunft kreisen nach den großen Investitionen der letzten Jahre also schon ums Sparen. „Wenn das Tafelsilber vervespert ist“, sagt Andreas Wersch, CDU-Fraktionschef, „werden wir sehen, wie hoch die entstandenen Folgekosten sind.“ Und prophetisch auch das: „In schwierigen Zeiten wird sich zeigen, was unser Zusammenhalt wert ist.“

Quelle: Waiblinger Kreiszeitung vom 21.04.2012 / Text: Reinhold Manz

Durch die weitere Nutzung der Seite stimmst du der Verwendung von Cookies zu. Weitere Informationen

Die Cookie-Einstellungen auf dieser Website sind auf "Cookies zulassen" eingestellt, um das beste Surferlebnis zu ermöglichen. Wenn du diese Website ohne Änderung der Cookie-Einstellungen verwendest oder auf "Akzeptieren" klickst, erklärst du sich damit einverstanden.

Schließen