Jul 03 2010

Discounter-Rechnung mit Unbekannten

Veröffentlicht von um 15:53 unter Pressespiegel

vom 03.07.2010

Im Juli entscheidet der Kernener Gemeinderat über den Standort Spitzäcker

Beschließt der Kernener Gemeinderat bei seiner Juli-Sitzung einen Discounter in Rommelshausen am umstrittenen Standort Spitzäcker? Einiges spricht dafür. Seit der Gemeinderatswahl im Juni 2009, als die Kernener SPD der CDU einen Sitz abjagte, hat der Billigmarkt am Römer Ostend dank knapper strategischer Mehrheit eine reale Chance.

Mit elf zu elf Stimmen im Rat stehen sich Gegner (OGL und CDU) und Befürworter (SPD und UFW) derzeit wieder auf Augenhöhe gegenüber, nachdem die Kernener Genossen ihren Newcomer Paul Alexander Eißele, der sich als aufmüpfiger Juso öffentlich eine ablehnende Haltung erlaubte, schnell wieder zurückgepfiffen haben. Bei diesem Patt spielt Schultes Stefan Altenberger nun das Zünglein an der Waage. Und Altenberger ist seit der nichtöffentlichen Grundsatzentscheidung des Gremiums pro Discounter im Juli 2004, als das Kombipaket Tankstelle/Lebensmittler am Ortsrand schon Bestandteil der Planspiele war, ein feuriger Befürworter der Spitzäcker.

Zu Beginn seiner Amtszeit träumte Altenberger noch von einer Einkaufsmeile. Sie sollte die bebauten Spitzäcker an den Rommelshausener Ortskern über ein Brückenglied, das geplante Wohn- und Geschäftshaus Karlstraße vis-à-vis der Post, fußläufig anbinden – vor bis zum Adlerkreisel. Nach gescheiterten Planungen für einen Lebensmittler in den Kirchgärten und der Tulpenstraße hieß damals die Losung: Der „Frequenzbringer“ auf der grünen Wiese als Notlösung hilft dem darbenden Einzelhandel nur dann, wenn die umworbene Aldi-Kundschaft sozusagen an die Hand genommen und vom Ortsrand in die Ortsmitte geführt wird.

Mittlerweile spielt die fußläufige Anbindung keine Rolle mehr. Die Aldi-Kundschaft sei für ihre Großeinkäufe eh mit dem Auto unterwegs, sagen Gutachter und stellen so den strategischen Trumpf eines Marktes in der ortskernnahen Römer Tulpenstraße infrage. Während UFW und SPD den massiven Kaufkraftabfluss aus Kernen noch immer mit Aldi stoppen, ja gar umkehren wollen, um so auch Synergieeffekte für Bäcker und Metzger zu schaffen, scheint der Bürgermeister dieser Frage kein allzu großes Gewicht mehr beizumessen. Laut WKZ vom 12. Juni sagte er im Gemeinderat, über die Auswirkungen eines Discounters auf die Ortsmitte sei schon oft beraten worden. Darum gehe es mittlerweile nicht mehr, „sondern darum, ob der Standort, den wir wählen, funktioniert oder nicht“. Das entspricht der Standortanalyse Spitzäcker, vorgelegt von der „Freien Planungsgruppe 7“. Zwar sei das Streuostgelände an der Landesstraße gut geeignet und könne ein Discounter den Kaufkraftabfluss im Lebensmittelsegment auch stoppen, steht in der Studie zu lesen. Aber die 500 Meter Entfernung zum Ortskern generierten „nur mäßige Mitnahmeeffekte für das Ortszentrum aus der Ansiedlung eines Marktes an dieser Stelle“.

Gleichwohl zieht die Expertise diesen Standort der Tulpenstraße vor. Das neue Geschäftshaus an der Karlstraße rücke den Standort Tulpenstraße in die „zweite Reihe“, die Verkehrserschließung über einen Kreisel und die starke Trennwirkung der Karlstraße seien höchst problematisch.
Zwar gilt im Grundsatz, was UFW-Fraktionschef Hans Dietzel ins Feld führt: Bei 1000 zusätzlichen Frequenzen, die der Discounter nach Rom bringt, bleiben theoretisch 15 Prozent im Ort. „Das sind 150 Kunden, die was liegen lassen. Die kommen mit dem Auto. Der Abstand spielt da keine Rolle.“ Die Frage ist aber: Woher nimmt man die praktische Gewissheit, dass sie nach dem Aldi-Einkauf tatsächlich Rommelshausen ansteuern? SPD-Fraktionschef Hans-Peter Kirgis argumentiert andersherum. „Die Leute fahren ja zum Discounter, ob wir ihn ansiedeln oder nicht. Wenn sie in Weinstadt beim Aldi einkaufen, gehen sie hinterher noch zum Kalkofen in den Edeka. Diese Käufer fehlen bei uns. Habe ich meinen Discounter vor Ort, kann ich überlegen: Muss ich trotzdem noch in den Kalkofen?“ Und die Stettener würden dann vielleicht eher dazu neigen, den Rewe zu frequentieren, hofft jedenfalls Kirgis. Die Tulpenstraße als Alternative komme für ihn und die SPD nicht infrage. Die Verkehrsbelastung werde zum Kollaps führen, sagt er voraus.

Der scheidende Vorsitzende des Planungsverbandes Unteres Remstal, Christoph Palm, hatte den benachbarten Rathäusern im Februar 2009 ins Stammbuch geschrieben: „Der Planungsverband hat weiterhin darauf zu achten, dass in allen Mitgliedskommunen der Einzelhandel in den Ortszentren vor der „Erdrosselung“ durch mächtige Konkurrenten auf der grünen Wiese geschützt wird.“ Aldi bietet im Discounter frisch gebackenes Brot aus dem Automaten. Die Konkurrenz am Römer Ortsrand verschärfte sich, würde dort zusätzlich ein Vollsortimenter platziert, „eine wegen der damit verbundenen Synergieeffekte für Marktbetreiber immer wieder gesuchte Situation“, wie das dem Gemeinderat vorliegende Experten-Gutachten zu dieser Extremvariante anmerkt. Zwar schließen UFW und SPD dieses Kombipaket aus – Kirgis sagt: „kurz- bis mittelfristig nicht“ – doch die Option, für die sich auch Rewe in Stetten interessiert, bliebe bei einem Ja zum Discounterstandort Spitzäcker offen. Ein Aldi als Trojanisches Pferd?

Die Kernener OGL-Fraktion, die einen Billigmarkt prinzipiell ablehnt, wirbt gerade deshalb für einen Vollsortimenter in der Tulpenstraße. Dort reiche der Platz für beides, Handel und Wohnbebauung. Das Verkehrsaufkommen könne „sinnvoll geregelt werden, der Markt wäre ortsnah und schaffte Synergieeffekte“, sagt Fraktionschef Andreas Stiene. In den eh zu kleinen Edeka-Markt könnte ein Discounter gehen. Der „Treff“ böte Ladenfläche für eine „neue Sparte“. Die Kernener Grünen erwarten von einem zweiten Discounter nämlich alles andere als Synergien, unabhängig vom Standort. Sie fürchten einen härteren „Verdrängungswettbewerb für den Handel im Ortskern“, so Stiene. Mehr Gewerbesteuer bringe er eh nicht, sei aber städtebaulich fatal.

Die Kernener verfolgen die Discounterdebatte höchst aufmerksam. Der Seniorenrat appellierte jetzt im Sinne der Älteren, sich für den Erhalt der bestehenden Lebensmittler mit deren kostenlosem Lieferservice einzusetzen, falls der gefährliche Billigheimer die Spitzäcker bezieht. Die Senioren teilen die Angst der OGL.

Braucht Kernen einen Discounter? Er ist kein Allheilmittel zur Sanierung des siechen Einzelhandels, der sich durch attraktiveres Marketing, Service und Qualität selber helfen muss. Wenn der Gutachter „nur mäßige Mitnahmeeffekte“ prophezeit, bleibt noch das Argument Kaufkraftbindung. Sprich: Mehr Geld bliebe im Ort. Sollte davon aber nur Aldi profitieren, wäre das ein bisschen wenig.

Quelle: Waiblinger Kreiszeitung vom 3. Juli 2010 / Text: Hans-Joachim Schechinger

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