Jul 28 2010

„Aldi verschandelt den Ortseingang“

Veröffentlicht von um 10:01 unter Pressespiegel

vom 28.07.2010

Anwohner protestieren gegen den geplanten Discounter in den Römer Spitzäckern / „Die Leute fahren nicht in den Ort“

Kernen-Rommelshausen. Heute entscheidet der Kernener Gemeinderat über einen Discounter vor den Toren Rommelshausens. Für die Nachbarn in der Kolbenhalde ist der Standort auf der grünen Wiese mehr als ein städtebauliches Desaster. „Die Aldis sind ja alle im Industriegebiet“, sagt Sabine Porst. „Und zum Aldi geht man in der Regel mit dem Auto. Da fahre ich nicht mehr runter in den Ort.“  

Franz Weilhard, Erich Teichmann und seine Tochter Sybille, Sabine Porst, Klaus Ahrens, Ingrid Müller-Selmer: Sie und ihre Nachbarn wollen sich den Discounter vor der Haustüre einfach nicht gefallen lassen. Hausfassaden in der Beinsteiner Straße sind mit Transparenten bepflastert. Der wütende Anlieger-Protest entzündet sich nicht nur an einem Einzelhandelsprojekt, dem eine wertvolle Streuobstfläche am Römer Ortsrand zum Opfer fallen soll. Neben der Umweltzerstörung, die den Menschen in der Beinsteiner Straße durch Flächenversiegelung, Autolärm, knallende Autotüren, singende Kühlmotoren, giftige Abgase und – wie Erich Teichmann fürchtet – noch mehr Durchgangsverkehr in der Beinsteiner Straße droht, stellen die Römer auch die Kernener Discounter-Philosophie der Kaufkraftbindung in Frage.

Wer auf dem Aldi-Parkplatz sein Auto mit dem kompletten wöchentlichen Familiensortiment von Zahnpasta bis Tierfutter befülle, mit Fleisch aus der Kühltheke, mit knackigen, frischen Brötchen aus dem Aldi-Backshop, der brauche nicht mehr nach Rommelshausen zu fahren. Sabine Porst aus der Mozartstraße weiß es aus Erfahrung: „Die Leute fahren zum Discounter, laden zu Hause aus und fertig. Die Ortsanbindung ist eben nicht gegeben. Ich fahre da hinterher nicht mehr runter, um in Rommelshausen einzukaufen.“

„Es droht ein abstoßendes gewerbegebietsartiges Szenario“

Auch städtebaulich ist der Discounter auf den Spitzäckern für die Anwohner ein Sündenfall. „Bisher ist es hier eine freundliche Ortseinfahrt mit Baumwiese und Kreisel“, so Porst. Dieses Bild werde zerstört durch einen schmucklosen Zweckbau, der üblicherweise in einem Industriegebiet steht. Der grüne Römer Ortsrand büße mit Tanke, Parkplatz und Discounter (und eines Tages vielleicht Supermarkt) den einladenden, dörflichen Charakter ein. Da drohe links und rechts der Landesstraße ein abstoßendes gewerbegebietsähnliches Szenario. Wer im Kernener Rathaus wolle das eigentlich verantworten?

„Wir sind sehr beunruhigt, nachdem wir die Umwelt doch schonend behandeln möchten“, appelliert Erich Teichmann. „Wir wollen Industriebauten nach Möglichkeit vermeiden. Auch ist das der Bevölkerung wenig dienlich: Wir haben doch in Rom schon drei Großraumläden.“
Alle Gemeinden rundherum böten Billigmärkte in Industriegebieten. Er verstehe die Klimmzüge in Kernen nicht, zumal Rommelshausen keinen Lebensmittler, sondern ein Textil- und ein Haushaltswarengeschäft brauche. Den Rentner, der seit 1953 in der Beinsteiner Straße wohnt und sich dort wohl fühlt, ärgert in der Discounter-Debatte vor allem dies: „Dass die Bevölkerung nicht ernst genommen wird.“
Ingrid Müller-Selmer, die eine Eigentumswohnung mit Balkon zur Beinsteiner Straße bewohnt, zog dort vor sechs Jahren ein. Mit dem Discounterprojekt auf der grünen Wiese zerstöre das Rathaus die Visitenkarte des Dorfes: „Ich genieße diese Verbindung von Naturnähe und S-Bahn-Anschluss“, sagt sie. „Es ist bedauerlich, wenn mit dem Parkplatz und dem Gebäude die Natur nun mutwillig zubetoniert wird.“

Franz Weilhard: Das Kernener Marktpotenzial ist fast ausgeschöpft

Ihr Nachbar Klaus Ahrens fügt dem seine persönlichen Eindrücke aus Sicht des leidenschaftlichen Naturfotografen hinzu. Eine Grünfläche wie die Spitzäcker zu versiegeln, auf der er seltene Schmetterlinge wie den Schwalbenschanz, aber auch Schachbrett, Kleiner Fuchs und Insekten wie den Rosen- und Pinselkäfer fotografiert habe, sei schlicht ökologischer Frevel.

Der Römer Franz Weilhard geht noch einen Schritt weiter. Er hält die von Gemeindeverwaltung, UFW, SPD und Freundliches Kernen seit Jahren wie eine Monstranz hochgehaltene Kaufkraftbindung für ein Scheinargument. Eine bundesweite Untersuchung habe ergeben, dass die Deutschen 13,4 Prozent ihres Einkommens für Nahrungsmittel, 4,2 Prozent für Gesundheitspflege, 11,6 Prozent für Freizeit, Unterhaltung und Kultur, 5,3 Prozent im Beherbergungs-Gaststättenwesen und 4 Prozent für andere Waren und Dienstleistungen ausgeben. Den Rest investieren sie etwa in Vertragswerkstätten, im Media- oder Baumarkt. 25 bis 40 Prozent fließen in Wohnung und Haus.

Fazit: „Das Marktpotenzial für Kernen beträgt maximal 38 Prozent der Einkommen. Wenn es stimmt, dass schon circa ein Drittel der Einkommen in Kernen ausgegeben wird, ist eine Steigerung praktisch nicht mehr möglich.“

Quelle: Waiblinger Kreiszeitung vom 28.07.2010 / Text: Hans-Joachim Schechinger

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