Jun 11 2012

Brauchen Gemeinderäte Disziplin?

Veröffentlicht von um 15:05 unter Pressespiegel

vom 09.06.2012

Planspiel Kommunalpolitik in der Rumold-Realschule: Kernener Räte erklären Kommunalpolitik – und prüfen sich selbst

„Planspiel Kommunalpolitik“ heißt ein Projekt der Friedrich-Ebert-Stiftung, bei dem Kernener Gemeinderäte Rumold-Realschülern helfen werden, sich auf eine inszenierte Gemeinderatssitzung mit Schultes Altenberger vorzubereiten. Die Gemeinderäte wollen für Kommunalpolitik werben, ihre Arbeit vorstellen. Das bietet auch die Gelegenheit, die Arbeit und Diskussionskultur im Gremium zu hinterfragen.

Das Planspiel Kommunalpolitik der Friedrich-Ebert-Stiftung will bei Jugendlichen Interesse an Kommunalpolitik wecken. Es soll den Dialog zwischen Einsteigern und erfahrenen Kommunalpolitikern fördern, die Themen der jungen Leute in die Tagespolitik tragen. Deshalb spielen bei dem Projekt, das an der Rumold-Realschule Mitte Juni stattfindet, Kernener Gemeinderäte eine Schlüsselrolle. Die versierten Praktiker sollen Schüler am zweiten Projekttag, 15. Juni, aufs Planspiel-Finale vorbereiten: Gemeinderäte der vier Fraktionen erarbeiten mit ihnen Anträge und Anfragen für eine „Jugend-Gemeinderatssitzung“ in der Glockenkelter am 21. Juni.

Das Werben für Gemeinderatsarbeit bietet Gelegenheit zur Selbstreflexion. Was läuft, gemessen an den Maßstäben, die Kernener Kommunalpolitiker Realschülern vermitteln, im eigenen Gremium gut, was läuft schief? Wie steht’s um die Diskussionskultur? Darf man sich öffentlich duzen, ohne der Kungelei verdächtig zu sein? Sind es noch Debatten oder werden nur Fensterreden gehalten, da die Entscheidung nichtöffentlich längst fiel? Ist der Gemeinderat als Hauptorgan der Kommune noch Impulsgeber oder scheucht ihn die rührige Verwaltung mit Beschlussanträgen vor sich her? Sind die Bürgervertreter in die Materie eingearbeitet? Alles Fragen, die sich anlässlich des Planspiels Kommunalpolitik die Mandatsträger selber stellen könnten, wenn sie wollten. Auch der enorme Arbeitsaufwand für Spezialthemen sollte Thema sein.

Andreas Wersch: „Ich erwarte eine klarere Struktur“

CDU-Fraktionschef Andreas Wersch sagt, „die Vorberatung im Ältestenrat sollte dringend intensiviert werden, da sind wir uns alle einig. Aber da zögert BM Altenberger“. Was ihn persönlich störe, sei ein Systemfehler in der süddeutschen Ratsverfassung, die von Bürgermeistern ersonnen wurde. Da stehe „ein ehrenamtlicher Gemeinderat der hauptamtlichen Verwaltung gegenüber, die kontrolliert werden soll“. Das funktioniere nicht. Das nähre ein Grundmisstrauen. Die Demokratie habe hier „einen kleinen Haken“. Gewiss, der Diskussionsstil im Gremium sei verbesserungswürdig. „Ich erwarte da eine klarere Struktur seitens der Verwaltung.“ Wichtig sei, dass sich die Ratsdamen und -herren für eine Arbeit im Lebensumfeld des Bürgers, wo sie mitreden und trotz dicker Bretter etwas verändern können, auch persönlich kennen, etwa aus der Vereinsarbeit. „Das Du spielt da keine Rolle, es geht um die Sache“, so Wersch.

Ihn ärgere, dass Ratskollegen nach intensiver nichtöffentlicher Vorberatung Argumente anderer bei öffentlichen Schaufensterreden für sich vereinnahmten. Dazu trage auch die Verwaltung bei. Er rät, auch um das Verfahren zu beschleunigen: „Der Sitzungsleiter ruft zu Beginn der Ratssitzung nichtöffentlich ausgiebig vorberatene Beschlussanträge mit dem Hinweis auf: Sollte es keine Einwände und Anregungen geben, gehen wir gleich zur Abstimmung über.“

In ihrer „Wegbeschreibung für die kommunale Praxis“ schreibt die Kommunalakademie der Friedrich-Ebert-Stiftung zum Rederecht: „Dass Mandatsträger in den Sitzungen des Gemeinderats das Wort ergreifen können, ist eine Selbstverständlichkeit und wird in den Kommunalgesetzen der Länder nicht eigens erwähnt. Gleichwohl gehört das Rederecht zum kommunalverfassungsrechtlichen Status der Mandatsträger. Von diesem Rederecht kann das einzelne Mitglied des Gemeinderates aus verständlichen Gründen nicht nach seinem Belieben Gebrauch machen. Es hat sich beim Vorsitzenden des Gremiums zu Wort zu melden, das ihm dieser erteilen und gegebenenfalls auch wieder entziehen kann.“

Wie steht es um die Debattenkultur im Kernener Gemeinderat? „In letzter Zeit fällt mir auf, dass bei uns die Disziplin sehr zu wünschen übrig lässt“, rügt SPD-Fraktionschef Hans-Peter Kirgis. Da werde zu viel nebenher- und dazwischengeredet. Man kriege manches gar nicht mehr mit bei dem Lärmpegel. Statt sich zu verzetteln, regt Hans-Peter Kirgis an, Wortmeldungen zu sammeln und sie eine nach der anderen abzuarbeiten. „Wir müssen uns selber disziplinieren, aber das ist auch Sache des Sitzungsleiters.“ Außerdem: „Mir ist wichtig, dass man den Ältestenrat wieder mehr einberuft, um vieles im Vorfeld zu klären“, regt der SPD-Mann an. Dann wisse das Gremium auch, welche Themen es im nächsten Vierteljahr erwartet. Bei der Fülle an Tagesordnungspunkten fühlen sich Räte oft überfordert, ja überfahren, wenn ohne Vorwarnung ein neues Fass aufgemacht wird.

SPD-Mann Kirgis: Im Moment ist die Verwaltung der Impulsgeber

Der Gemeinderat als Kontrollorgan und Treiber? „Im Moment ist der Impulsgeber die Verwaltung, die sehr rührig ist, was ja positiv ist“, gesteht Hans-Peter Kirgis ein. „Stellenweise entsteht aber der Eindruck, dass es viel zu schnell geht, weil die Öffentlichkeit der Diskussion nicht folgen kann. Das ist schade. Da kommt die Gemeinderatsarbeit nicht mehr rüber.“ Ergo: mehr Raum für öffentliche Diskussionen schaffen. Wobei für ihn, das Du betreffend, gelte: Dienst ist Dienst und Schnaps ist Schnaps. In Gemeinderatsdiskussionen habe er auch gegenüber Bürgermeister Rolf Frank, einem alten Studienkollegen, nie das Du gebraucht. Unter Gemeinderatskollegen, die sich privat duzten, sei das schwierig.

Auch Martin Weiß, stellvertretender UFW-Fraktionsvorsitzender, urteilt selbstkritisch: „Wir sollten schon ab und zu mal darüber nachdenken, wie man sich verhält. Aber erst mal muss sich jeder an der eigenen Nase fassen. Ja, vielleicht gibt es Situationen, wo man den anderen mehr respektieren sollte.“ Grundsätzlich, so Weiß, sollte die Debattenkultur effektiver werden. Das Gremium verliere viel Zeit, wenn die Verwaltung auf jeden Redebeitrag einzeln reagiere, statt zu sammeln und summarisch zu antworten. Sein Verhältnis zur Verwaltung sei zwar grundsätzlich von Vertrauten geprägt, aber das entbinde keinen Gemeinderat, der ja nur Laie ist, von intensiver Vorbereitung: vor allem bei komplexen Themen wie Netz und Energie. „Wir müssen manches viel intensiver vorberaten. Es ist ja schon einiges wieder von der Tagesordnung verschwunden, weil das Gremium nicht genügend informiert war.“

Neuling Birgit Bregenzer-Kraus (OGL) stellt ihre Aufgabe als Impulsgeber nach vorne: Sie sehe sich als Sprachrohr des Bürgers, der Gemeinde, deren Impulse sie weitergibt – „so dass man sich mit der Verwaltung Gedanken macht, dass sich da etwas herauskristallisiert“. Permanent bewege sich was in ihrem Kopf: „Ich frage mich: Hatte ich vorher keine Hobbys? Ja, es ist schon sehr viel.“ Einige Sachzwänge hat sie schon verinnerlicht. Oft werde das Publikum ja leider nur mit Ergebnissen konfrontiert. „Den Diskussionsprozess aber öffentlich zu machen, finde ich sitzungsökonomisch schwierig.“

Quelle: Waiblinger Kreiszeitung vom 09.06.2012
Text: Hans-Joachim Schechinger

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