Sep 18 2017

Europa ist die Lösung – nicht das Problem

Veröffentlicht von um 21:42 unter Pressespiegel

Quelle: Waiblinger Kreiszeitung vom 18.09.2017 / Text: Martin Winterling

Bundestagswahl am 24. September: Oettinger in Kernen

„Der Binnenmarkt Europas ist der Ast, auf dem die baden-württembergische Wirtschaft sitzt“, sagte Günther Oettinger, EU-Kommissar für Haushalt und Personal, am Samstagmittag in Rommelshausen. Der CDU-Ortsverband und der CDU-Bundestagsabgeordnete Joachim Pfeiffer hatten vor dem Bürgerhaus zu einer Gesprächsrunde bei Maultaschen und Kartoffelsalat eingeladen. Als ihm ein Glas Wasser auf das Pult gestellt wurde, meinte Oettinger trocken: „Mir wäre eine Schorle lieber.“

Es wäre „eine kluge Idee“, diesen Binnenmarkt für die exportorientierte Industrie im Land zu erhalten, wies Oettinger auf Exportquoten von über 90 Prozent hin, wie sie beispielsweise die Firmen Stihl und Kärcher aufweisen. Aber auch die baden-württembergischen Autohersteller seien auf den Export ihrer Fahrzeuge angewiesen, selbst wenn die Baden-Württemberger rund um die Uhr in ihrem Heilix Blechle unterwegs wären – sofern der grüne Verkehrsminister ihnen dies überhaupt erlaube.

Wie sehr Baden-Württemberg vom Strukturwandel in der Automobilindustrie betroffen ist, machte Oettinger mit Beispielen deutlich. Wenn Autos elektrisch fahren, brauchen sie keine Zündkerzen mehr – Bosch. Sie benötigen keine Kühler – Behr –, keine Abgasreinigung – Eberspächer –, keine Kolben – Mahle – und auch kein Getriebe – Getrag und ZF. Oettinger warnte in diesem Zusammenhang vor Fahrverboten und vermutet, dass „das alte Spiel gegen das Auto“ dahinterstecke. Benzin- und Dieselmotoren werde es aber noch lange geben. Er forderte jedoch zu einer Bildungsoffensive auf, damit der Umstieg auf die Elektromobilität gelingt.

In der Fragerunde räumte Oettinger ein, dass Deutschland bei digitalen Diensten und Technologien von den USA abhängig ist. Im Silicon Valley brenne die digitale Luft, nicht zuletzt wegen dieser Ballung von Forschungsstätten wie Stanford, Berkeley und der University of Kalifornien. Deutschland und Europa brauchten ebenfalls mehr IT-Spezialisten, von denen aber viel zu wenig an den Hochschulen ausgebildet werden, bedauerte der gelernte Jurist. Wohl wissend, dass eben die Ausbildung von Juristen und Sozialwissenschaftlern billiger ist als die von Naturwissenschaftlern.

Oettinger forderte, die Infrastruktur auszubauen. Ausdrücklich auch die Schiene, wies Oettinger auf die aktuelle Streckensperrung im Rheintal hin, nachdem die Bahn bei der Untertunnelung der bestehenden Strecke zu leichtfertig gewesen sei und die Strecke nun gesperrt ist. Während die Schweiz ihre Hausaufgaben für den Ausbau des Güterverkehrskorridors Rotterdam-Italien erledigt und den Gotthardt-Tunnel eröffnet habe, hinke der Ausbau der Rheinschiene in Deutschland Jahrzehnte hinterher. Falsch lag Oettinger freilich mit seinem Vorwurf, dass dies die Schuld einer grundsätzlichen Verweigerungshaltung der Bürger sei („Wir wissen genau, was wir nicht wollen …“). Vielmehr haben Bund und Deutsche Bahn die Planungen über Jahre verschleppt.

Europa ist immer ein Kompromiss, warnte Oettinger davor, sich in Deutschland und Baden-Württemberg zu wichtig zu nehmen. „Auch Baden-Württemberg ist ein Kompromiss.“ Um auf der weltpolitischen Bühne zwischen China und den USA wahrgenommen zu werden, müsse Europa mit einer Stimme sprechen. Oettinger hält wenig von der Idee eines „Europas mit zwei Geschwindigkeiten“. Man könne in einer Gemeinschaft von 28 Ländern, künftig 27, zwar nicht immer auf den Letzten warten, wies Oettinger auf den Euro hin, der erst in 16 der 28 EU-Staaten Währung ist. Alle Probleme mit mehreren Geschwindigkeiten lösen zu wollen, führe jedoch zur Spaltung.

Ein Fragezeichen setzte Oettinger hinter die Forderung des französischen Präsidenten Macron nach einem europäischen Finanzminister: „Gemach, gemach“, meinte er. Zunächst müsse geklärt werden, was Macron darunter verstehe. Vorerst sei es bloß eine Idee.

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