Mrz 25 2017

Neugeborenen eine Heimat geben

Veröffentlicht von um 21:16 unter Pressespiegel

Quelle: Waiblinger Kreiszeitung vom 25.03.2017 / Text: Hans-Joachim Schechinger

Gestern Nachmittag wurde in Rommelshausen der erste Geburtsbaum mit den Namen von 58 Kindern eingeweiht

Warum lassen Eltern den Namen ihres Neugeborenen auf eine öffentliche Geburtstafel stanzen? Die Antworten sind so verschieden wie die Familien. Eine hörte man gestern bei der Einweihung des ersten Kernener Geburtsbaumes aber immer wieder: „Wir wollten, dass unser Mädchen nicht eines Tages fragt: Warum bin ich nicht drauf?“ 58 Vornamen prangen auf der Edelstahltafel in der Friedrichstraße.

Eine Bergulme, die heute noch Baumstützen braucht, um gut zu wurzeln, wird in 20 Jahren auf der Wiese beim Kindergarten Friedrichstraße die daneben stehende Namenstafel fürsorglich beschatten. 58 Kernener Babys, die 2016 geboren wurden und gestern auf den Armen ihrer Eltern bei der Einweihungsfeier mit dabei sein durften, sind auf der resistenten Edelstahlplatte mit ihren Namen verewigt. Das ist bei 118 Jahrgangskindern zwar nur gut die Hälfte, aber andererseits ein stolzer Anfang. Eine Premiere für Kernen, der auf einen Antrag der CDU-Fraktion zurückgeht. „So ein Baum ist etwas Kleines, aber es hat Symbolkraft“, findet Benjamin Treiber, der den Geburtsbaum in Fellbach zum Modell nahm. An diesen Ort könnten Kernener, die es im Laufe ihres Lebens anderswohin verschlägt, immer wieder zurückkehren.

Geburtsbäume hätten eine lange Tradition, holte Schultes Stefan Altenberger bei der gestrigen Begrüßungsfeier vor glücklichen, auf der Wiese an der Friedrichstraße versammelten Eltern aus. Die alten Römer hätten sie schon gepflegt, und warum sollte gerade das kleine Rom am Krättenbach sie nicht fortsetzen. Freilich sind die Kernener Geburtsbäume als ortsteilübergreifende Allee geplant, die Stetten mit Rom verbindet. Das Rathaus hat den CDU-Vorschlag, der eigentlich auf den Masvingopark gemünzt war, pragmatisch umgemodelt und die geplante, bis zur Kreisstraße verlängerte Friedrichstraße, an der laut Bebauungsplan ohnehin Begleitgrün geplant ist, zur Jahrgangsallee erkoren. „Die Tafel ist sehr edel geworden. Tafeln und Bäume werden in den nächsten Jahren alle entlang der Friedrichstraße bis nach Stetten raus gesetzt“, versprach Altenberger.

Die kleine Bergulme beim Kindergarten Friedrichstraße steht etwas im Abseits, weil die Höhe der verlängerten Ausfallstraße noch nicht definiert ist. Entweder die Baumallee startet künftig hier, so dass in der Wiese noch weitere Geburtsbäume gepflanzt werden müssten, um die Reihe an die Friedrichstraße anzubinden, oder aber die Bergulme wird an den Straßenrand versetzt, sobald die Trassenhöhe feststeht. Altenberger rechnet damit, dass zwischen Rom und Stetten in gebührendem Abstand 30 bis 40 Geburtsbäume passen.

Antwort auf die Frage: Wo bin ich verwurzelt?

Der Schultes geriet bei der gestrigen Begrüßungsfeier ins Philosophieren, als er sich über Sinn und Zweck solcher Geburtstafeln ausließ. Die Edelstahlplatte enthält jeweils die Vornamen mit Geburtsdaten der Kinder eines Jahrgangs. Sie möge die Kernener Neubürger an ihre Heimat binden, sagte Altenberger, auch später einmal, wenn sie ihr irgendwann entwachsen sein sollten, weil Beruf und Familie sie anderswo hinführt. Die Tafel antworte auf existenzielle Fragen: „Wo komme ich her? Was gibt mir Halt? Wo bin ich verwurzelt?“ Die kleine Bergulme sei „ein Geschenk für alle Kinder, denen der Baum gewidmet ist. Es ist doch schön, wenn sie einmal in aller Welt verstreut sein sollten und dann nach 40 Jahren hierher wieder zurückkommen können.“

Eine Mutter findet diesen „Heimatgedanken“ für ihren Niklas, der am zweiten Weihnachtsfeiertag geboren wurde, sehr schön. „Und wenn die Gemeinde das anbietet, nimmt man das gerne in Anspruch“, sagt sie. Eine andere Mutter begrüßte die Tafel, weil ihre kleine Tochter auf ihr später sehen könne, zu welchem Jahrgang sie gehört. „Das sind ja alles Kinder, die sie begleiten werden, im Kindergarten, in der Schule. Sie soll mich später nicht fragen: Warum bin ich da nicht drauf?“

2500 Euro hat sich das Rathaus die Platte kosten lassen. Und Schultes Altenberger wäre, wie er gestern am Rande der Feier sagte, bereit, die Tafel sogar austauschen zu lassen, falls sich 20 oder 30 Kernener Eltern noch nachträglich entschließen sollten, ihr 2016 Neugeborenes verewigen zu lassen. Viele Eltern waren mit Kinderwagen gekommen. Sie nutzten und genossen die Gelegenheit, sich von anderen Eltern an der neuen Namenstafel fürs Familienalbum fotografieren zu lassen.

Nachtrag in eigener Sache: Antrag der CDU Gemeinderatsfraktion zum Haushalt 2016 – „Geburtsbäume“

Die Verwaltung wird beauftragt, die Idee von „Geburtsbäumen“ auf der Gemarkung von Rommelshausen und Stetten weiter zu verfolgen, geeignete Standorte zu benennen und die ggf. erforderlichen Kosten zu beziffern. Im Gremium ist anschließend darüber zu beraten, ob die Geburtsbäume dem Beispiel anderer Kommunen folgend kostenfrei zur Verfügung gestellt werden oder auf freiwilliger Basis für einen kostendeckenden Preis erworben werden sollen.

Vor einigen Jahren hatte die Verwaltung angeregt, ein „trockenes Flussbett“ im Masvingo-Park mit sogen. „Geburtssteinen“ auszulegen. Der Gemeinderat hat diese Ansinnen abgelehnt mit der nachvollziehbaren Begründung, dass Steine in vielen Kulturen nicht gerade ein Sinnbild für das Leben darstellen. Stattdessen wurde von unserer Fraktion angeregt, für Neugeborene in unserer Gemeinde Bäume zu pflanzen. Leider wurde dieser Gedanke, warum auch immer, von der Verwaltung bislang nicht weiter verfolgt.

Inzwischen bieten viele Kommunen die Möglichkeit, solche „Geburtsbäume“ in öffentlichen Grünflächen zu pflanzen. Sie können mit einer Namenstafel und dem Geburtsdatum des Neugeborenen versehen werden. Nicht zuletzt kann dieses symbolträchtige Geschenk u.U. nachhaltig Naturverbundenheit und ein ökologisches Bewusstsein beim Neubürger fördern. Übrigens schenkt z.B. die Stadt Freiburg jedem Neugeborenen einen Apfel-, Birnen- oder Kirschbaum. Eine nette und durchaus überlegenswerte Geste, wie wir meinen.

Andreas Wersch
Fraktionsvorsitzender

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